Neu auf DVD: Durch drei Sackgassen muss Fanny Lye, um zu ihrer Erlösung zu gelangen. Thomas Clays Emanzipations-Western mit Home-Invasion-Plot hat ziemlich viel gelesen, kann aber trotzdem noch aufgeschlitzte Kehlen genießen.
Der fast einzige Handlungsort ist eine Farm im Nirgendwo. Fanny Lye (Maxine Peake) lebt hier mit Ehemann John (Charles Dance) und Sohn Arthur (Zak Adams). Ihr Heim stellt einen fragilen Vorposten der Zivilisation dar, der dem Matsch und der kargen Wildnis unter fortwährender Anstrengung immer wieder entrissen werden muss. Zwei Nackte (Freddie Fox als Thomas und Tanya Reynolds als Rebecca), die von einem Sheriff (Peter McDonald) verfolgt werden, suchen eines Tages bei den Lyes Unterschlupf. Das zieht einiges nach sich: Das Verhältnis zwischen Individuum und Staat/Gesellschaft muss justiert, das Innen vor dem Außen verteidigt und die Frage von Recht und Ordnung in einem Vakuum exekutiver Macht austariert werden. Nicht zuletzt steckt ein Bürgerkrieg noch in allen Knochen und Köpfen. Die Erlösung der Fanny Lye (Fanny Lye Deliver‘d) ist sichtlich ein Western, nur spielt er zur Mitte des 17. Jahrhunderts in Großbritannien.
Das Wissen der Lektüre
Texttafeln zu Beginn und Ende verorten den Film präzise. Oliver Cromwell und der Puritanismus dominieren jene kurzlebige Republik, die auf Krieg und Enthauptung des Königs folgte. Es herrschen turbulente Zeiten. Alte Werte werden hinterfragt und es entstehen Ideen, die die Moderne mitprägen werden. So der Beginn. Am Ende reitet dieses bahnbrechende Gedankengut in Form der Quäker in die Welt hinaus und wird aus dem Waliser Hinterland in die „neue Welt“ getragen. Zwischendrin findet sich ein Historienfilm, der Wert auf Authentizität legt und diverse geistige Strömungen der Zeit auf engsten Raum zusammenfinden lässt, um ihr gesellschaftliches Wirken im Kleinen sichtbar zu machen.
Dem Talent von Autor und Regisseur Thomas Clay ist es zu verdanken, dass Anliegen und Geschichte ein organisches Ganzes bilden und nicht wie eine Zwangsgemeinschaft erscheinen. Und doch wirkt Fanny Lye mitunter wie ein Gesprächspartner, der mit dem Wissen seiner letzten Lektüre groß auffährt. (Dabei handelt es sich übrigens um Christopher Hills The World Turned Upside Down, wie Clay in diversen Interviews angemerkt hat.)
Als Geisel und als Spielball
Der Historienwestern erhält seine Struktur durch eine dreistufige Home Invasion. Erst nisten sich die beiden Unbekannten in einen Alltag ein, in dem Fanny und ihr Sohn die Geisel ihres Mannes und einer asketischen, frauenverachtenden Ideologie sind. Dann werden die Lyes von ihren Gästen gefangengenommen und zum lustvollen Spielball von deren libertärer Gesinnung. Und schließlich ist es der Sheriff, der als teuflischer Vertreter einer gnadenlosen, nihilistischen, auf perversen Machtgenuss ausgelegten Staatsräson die fünf Protagonisten als Geiseln nimmt.
Dreimal lässt der Film eine vor allem männlich konnotierte Lust an Fanny Lye ausagieren – erst ein in Tugend umgedeuteter Sadomasochismus, dann eine eitle, heuchlerische freie Liebe, dann ein adliger, gleichgültiger Missbrauch und Terror. Dreimal befindet sie sich in einer Sackgasse – als Ehefrau am Herd, die keine Ahnung hat, dass ihr Leben auch anders gestaltet werden könnte, als Teil einer performativen Orgie, als Ding in der Hand eines Teufels. Wie der Titel schon sagt, handelt es sich bei Die Erlösung der Fanny Lye um eine Emanzipationsgeschichte. Alle drei Phasen dürfen mit ihren spezifischen Gewaltformen Fanny verdeutlichen, wie wenig sie auf das Bestehende zählen kann.
Subtil ist Die Erlösung der Fanny Lye dabei zu keiner Zeit. Die Eigenschaften der Figuren werden vom Off-Kommentar eingeordnet. Das großartige Casting ist auf Eindeutigkeit ausgelegt. Charles Dance lässt etwa von der väterlichen, rächenden Machtinstanz eine eindrucksvolle Beklemmung ausgehen. Dafür ist er da, darin geht sein Schauspiel auf. Es werden Reden gehalten und Diskussionen geführt, die nicht nur damalige Diskurse spiegeln, sondern das Damalige mit dem Heutigen verbinden. Der Widerstreit zwischen konservativen, progressiven und korrumpierten Elementen in Politik, in den Identitäten und im Sexuellen ist der unsere, wird von den Figuren kommentiert, so wie auch wir Kommentare zu dieser Ursprungserzählung der Moderne sein sollen. Und um das alles abzurunden, liegt um die Farm ein sich nie verziehender Nebel. Die Orientierungslosigkeit dieser Aufbruchszeit steht dick und breit in den Bildern.
Unklare Eindeutigkeit
So sehr der Film aber mit dickem Pinselstrich arbeitet, so lässt er zumindest den Figuren ihre Vor- und Nachteile. Eindeutig heißt nicht eindimensional. Johns Beinverletzung aus dem Bürgerkrieg wird im Laufe des Films zu einer ausgeprägten Impotenz. Aus der unnachgiebigen Instanz einer ungeteilten Macht ist ein hilflos Mann geworden, der bei aller Machtgeilheit auch einen sicheren Ort für seine Familie schaffen wollte. Fanny muss sich deshalb nicht ex negativo neu entwerfen, sondern kann bei diesem Neuentwurf auf reichhaltige Denk- und Handlungsweisen zurückgreifen. Und diesen Akt versteht Die Erlösung der Fanny Lye nicht als fröhlichen Gang in den Himmel, sondern als teuer bezahlten, schmerzhaften Weg.
Am schönsten stellt sich die Unklarheit der Eindeutigkeit in der Musik dar. Auch sie stammt aus der Feder von Thomas Clay und ist so aufdringlich wie vieles in diesem Film. Aber doch steht sie nicht unbedingt an den passenden Stellen. Wenn etwa die Machtverhältnisse auf der Farm das erste Mal aus dem Gleichgewicht gebracht sind, dann tönt der erhabene Soundtrack einer Erlösung. Dass gezückte Waffen und Erniedrigung weiterhin das Bild bestimmen, will nicht ganz zum Glanz der Klangwelt passen.
Doch diese Brüche stehen dem Film nicht nur gut zu Gesicht, sie bilden seinen Kern. Denn Die Erlösung der Fanny Lye erzählt zwar eine Geschichte, in der die Lust besiegt wird, um an einem Ort der Vernunft anzukommen. Doch funktioniert er selbst mit seiner sich langsam aufbauenden Drastik doch nach einem Lustprinzip. Die Züchtigungen des John Lye geraten nie in die Bilder, doch der zweite Teil fährt erste Spuren von Sex und Gewalt auf, um im vielleicht sinnlichsten, unangenehmsten und besten Teil des Films aufgeschlitzte Kehlen und von Gewehren zerschossene Köpfe durchaus zu genießen. Und damit erzählt der Film trotz seiner mitunter ermüdenden Zudringlichkeit doch viel mehr als nur das, was uns die Texttafeln zu Beginn und Ende weismachen wollen.